Thomas Herr ist seit Mai CEO bei Evana. Über seine Ziele sprach der ehemalige CBRE-Manager mit immobilienmanager.

Was sagt der Digitalexperte Thomas Herr, wo steht die Immobilienwirtschaft in Sachen Digitalisierung?

Thomas Herr: Unsere Branche entwickelt sich langsam aber zielgerichtet in eine datengetriebene Industrie. Allerdings wird es noch einige Zeit lang analoge und digitale Prozesse parallel geben. Umso wichtiger sind Plattformen wie unsere, mit denen man sowohl die Daten als auch die Dokumente verwalten und darauf aufbauend Prozesse automatisieren kann. Mit unserer Lösung docken wir relativ früh in die digitale Workflow-Kette der Immobilienunternehmen an – wir nennen das Mining und Refining von Daten. In der klassischen Industrie wären wir diejenigen die das Öl aus dem Boden holen, aus dem dann Benzin gemacht wird.

Was ist nötig, damit die Immobilienwirtschaft den nächsten Digitalisierungsgrad erreicht?

Die Arbeiten an einem ‚unified data model‘ für die Immobilienindustrie sind ein ganz zentraler Punkt bei der Digitalisierung der Branche. Der Immobilienwirtschaft fehlt bislang ein solches gemeinsames Daten-Modell. Wir engagieren uns deshalb an unterschiedlichen Stellen, etwa dem ZIA oder gif oder in Kooperationen mit anderen Unternehmen, um hier voran zu kommen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe.

Schauen wir zunächst noch einmal auf Ihr eigenes Unternehmen. Sie sind seit Mai CEO bei Evana. Welche Lösung bieten Sie an und was ist das Besondere daran?

Im Kern sind wir ein klassisches Software-Haus, das auf drei Säulen fußt. Erstens der Software-Entwicklung, die die Grundlage für die Weiterentwicklung unserer Plattform darstellt. Zweitens die Daten-Modellierung: Wir lesen Daten aus unterschiedlichen Dokumententypen aus. Dabei schießen wir nicht mit Kanonen auf Spatzen, soll heißen: Wir nehmen nicht sämtliche verfügbaren Technologien und wenden diese dann auf ein ungeordnetes Set an Dokumenten an. Stattdessen gehen wir sehr hierarchisch vor. Zunächst wird erfasst, um welches Dokument es sich handelt, weil sich daraus schon relativ konkret ableiten lässt, welche Art von Daten darin enthalten sein werden. Im zweiten Schritt kann die Plattform die Daten sehr viel leichter abstrahieren, weil sie sich auf ein sehr viel engeres Set von denkbaren Daten beschränken kann. Wir arbeiten permanent an der Weiterentwicklung von Datenmodellen für unterschiedliche Dokumenttypen.

Fehlt noch die dritte Säule.

Stimmt. Das ist die Implementierung von KI-Technologien. Wir nutzen etwa Elemente von Machine Learning und Bilderkennung, arbeiten aber auch daran Elemente von semantischer Spracherkennung zu nutzen. Ziel ist es, mit möglichst geringem Aufwand, ein möglichst präzises Ergebnis zu erzielen. Heute sind wir bereits in der Lage, die Kategorisierung für rund 300 unterschiedliche Dokumententypen vorzunehmen, bei mehr als 100 Dokumenttypen mit einer Erkennungsrate von 95 Prozent. Das entspricht ziemlich genau der menschlichen Sicherheit.

Wo steht Evana gerade. Sie zählen ja bereits zu einem der etablierten Digitalunternehmen in der Immobilienwirtschaft?

Natürlich ist die Weiterentwicklung einer solchen Plattform nie beendet, aber wir verlassen gerade die Stufe der ursprünglichen Entwicklung der Plattform und gehen stärker ins Roll-out. Deshalb müssen wir die eingangs genannten drei Säulen mit exzellentem Kundenservice und Projektmanagement paaren. Je mehr große Kunden es gibt, desto wichtiger wird das Thema Services und Implementierungs-Support.

Wie lange dauert eine solche Implementierungsphase bei einem Neukunden?

Bei großen Portfolios mit vielen hundert Gebäuden teilweise in unterschiedlichen Ländern kann die gesamte Implementierungsphase schonmal ein ganzes Jahr dauern. Häufig ist die technische Implementierung des Systems gar nicht die größte Herausforderung, sondern das Change-Management. Wie bringe ich die Mitarbeiter dazu, mit dem neuen System richtig zu arbeiten? Wie lassen sich Prozesse verbessern? Man kann sagen: Dieselbe Summe, die man für ein Software-Implementierungsprojekt benötigt, sollte man noch einmal für die Schulung des eigenen Personals veranschlagen. Vor allem dann, wenn man diesbezüglich noch Nachholbedarf hat.

Hat sich das lange beklagte kulturelle Gap zwischen Digitalunternehmen und klassischen Immobilienunternehmen etwas geschlossen? Finden die beiden Welten mittlerweile besser zusammen?

In unserem Fall haben wir den Vorteil, dass wir kein Massengeschäft mit hunderten Kunden machen, sondern eher wenige sehr große Immobilienunternehmen mit großen Beständen adressieren. Diese Unternehmen nehmen ihre Digitalisierung sehr professionell in Angriff und die Mitarbeiter auf der operativen Ebene sind sehr engagiert und kompetent. In der gesamten Branche hat sich viel verbessert. Wir merken das schon daran, dass große Immobilienunternehmen bei Ausschreibungen so genannte Greenfield-Ansätze verfolgen. Das heißt, sie lassen ihre gesamte bestehende Software-Struktur außen vor und sagen: Jetzt planen wir mal so, wie unsere Prozesse und Systeme in einer idealen digitalen Welt aussehen würden. Schlussendlich entscheiden sie sich dann für Dinge, die sofort oder später umgesetzt werden. Mit Evana sind wir in der Regel bei der ersten Welle dabei, weil wir mit unserer Plattform für darauf aufbauende Anwendungen die Daten zur Verfügung stellen.

Wie sehen ihre Wachstumspläne aus? Erobert Evana den weltweiten Markt?

Internationalisierung ist für uns ganz klar ein Ziel. Aber wir haben in der DACH-Region zunächst die besten Marktchancen, weil unser System aus und für die deutsche Sprache entwickelt worden ist. Wobei mittlerweile bereits mehr als 15 Prozent der Dokumente, die unser System lesen kann, englisch-sprachig sind. UK, USA, Kanada oder auch Australien und Singapur sind sicherlich interessante Märkte, die für eine Expansion zuerst zu nennen sind. Aktuell haben wir zum Beispiel drei POCs (proof of concept) mit Unternehmen aus Großbritannien in Verhandlung. Wobei auch unsere DACH-Kunden per se international sind mit Beständen auf der ganzen Welt.

Was macht eigentlich Evana, wenn irgendwann einmal die datengetriebene Industrie Wirklichkeit ist? Dann wären Sie doch überflüssig, weil kein Auslesen von Daten aus Dokumenten mehr notwendig wäre.

In dem Fall würde in der Tat unsere Rolle als Brückentechnologie entfallen. Doch ich denke, bis dahin braucht es mindestens noch ein Jahrzehnt, eine Unendlichkeit in der digitalen Welt. Gleichzeitig stellt sich schon jetzt die Frage, was mit den erfassten Daten passiert. Wie werden aus und mit den Daten neue Werte geschaffen? Bei Evana geht es derzeit vor allem darum Informationen zu strukturieren und Daten für Prozesse und Auswertungen zur Verfügung zu stellen. Morgen werden wir mit Hilfe der Technologien, die wir beherrschen, allen voran des Data Engineering der KI und unseres tiefen Verständnisses der Immobilienwirtschaft, unseren Kunden Antworten auf die beschriebene Kernfrage der neuen Datenökonomie geben müssen – wie realisiere ich den Wert der Daten?

Zum Abschluss eine Frage zu den Folgen der Covid-19-Pandemie. In der Branche wird viel über mögliche tiefgreifende Verwerfungen auf die verschiedenen Assetklassen diskutiert. Rechnen Sie mit grundlegenden Umwälzungen?

Ich denke es kann durchaus zu sehr disruptiven Veränderungen kommen, weil wir ein verändertes Nachfrageverhalten sowohl im Gewerbe als auch im Wohnen sehen werden. Es wird aber nicht alle Assetklassen gleich stark treffen. Man darf aber darüber hinaus nicht außeracht lassen, dass unsere Volkswirtschaften wahrscheinlich 20 Jahre brauchen werden, bis sie die massive Erhöhung der Verschuldung oder die nochmalige Lockerung der Geldpolitik verdaut haben werden. Der Ausdruck ‚Corona-bedingt‘ wird uns sicher noch lange Zeit begleiten, fürchte ich.

 

Das Gespräch führte Markus Gerharz für die immobilienmanager Ausgabe 9-2020.